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INTRO


Viel zu früh am Morgen

Der Regen prasselte ununterbrochen auf die Scheibe des Dachfensters.
Linus saß am Frühstückstisch und nippte an dem Kaffee, den seine
altmodische Filterkafeemaschine vor wenigen Minuten unter lautstarkem
Röcheln in seine Tasse gespuckt hatte.

Ein ganz normaler Tag lag vor ihm. Erst die Fahrt zur Arbeit, mitsamt der Erledigung
der täglichen Pflichten, um sich die Annehmlichkeiten des Alltages leisten zu können.
In Gedanken war er schon bei dem Ausflug, den er nach Feierabend machen würde. Das Wetter
war herrlich und die Straßen voller Kurven …

Aber vorher noch die Pflicht, dachte Linus und seufzte.

Plötzlich dröhte Heavy-Metal-Musik aus seinem Handy.

Linus blickte auf den Wecker in der Ecke seiner Küche: Gerade einmal 8:00 Uhr.

Wer ruft denn jetzt an?

Erst nach zweimaligem Abspielen des kompletten Klingeltones meldete sich Linus schließlich: »Hallo?«

Am anderen Ende der Verbindung war sein Kumpel Ralf, der ohne ein Wort
der Begrüßung anfing lossprudelte:

»Ich hab eine!«, brüllte er.

»Du hast was?«, entgegnete Linus.

»Na ein Moped für dich, was denn sonst, du Gimpel!«

Linus verdrehte die Augen. »Und deshalb rufst du mich morgens vor der Arbeit …«

»Ja klar, Mann!«, Unterbrach ihn Ralf. »Die Kiste ist total selten,
du musst sofort zuschlagen! So einen Wasserbüffel findet man nicht jeden Tag!«

»Einen was, bitte?«, fragte Linus verdattert.

»Na, ein klassisches Japanisches Big Bike, du Vollhorst. Eine Suzuki GT 750! Eine geilere
Kiste wirst du lange nicht finden! Also ruf in der Firma an, melde dich krank und wir fahren hin!«

»Äh…«, begann Linus, aber wieder unterbrach ihn Ralf: »Sofort!«


Eine Stunde später fand sich Linus neben Ralf in dessen alten Benz, der sich ächzend und
scheppernd den Weg nach Solingen quälte.
Unterwegs sprudelte die ganze Geschichte nur so aus seinem Kumpel heraus.

»Also du Spacken, das ist so gelaufen: Wir hatten letzte Woche eine Haushaltsauflösung
und da habe ich sie gesehen.«

»Eine Haushaltsauflösung?«, fragte Linus.

Ralf nickte. »Eine echt seltsame Geschichte, sag ich dir. Der Sohn hat seit vielen Jahren
keinen Kontakt mehr zu seinem Vater gehabt. Da ging es wohl um irgendwelche
Geldgeschichten. Auf jeden Fall wurde der Sohn von einem Nachbarn zum Haus seines Vaters
gerufen, weil dieser seit Wochen den Alten nicht mehr gesehen hat. Keine Mülltonne
vorm Haus, kein Licht das Abends anging - nichts.«

Ralf schaute Linus mit einem fiesen Grinsen an.

»Als die beiden dann die Tür aufgebrochen haben, haben sie es sofort gerochen.«

Linus ahnte, was folgen würde.

»Der Alte war doch echt in seinem Lieblingssessel eingeschlafen und nicht
wieder aufgewacht«, schloss Ralf seine Erzählung.

»Scheiße«, murmelte Linus. »So will ich auch die letzte Reise antreten!«

Ralf lenkte den alten Benz von der Überlandstraße in ein Wohngebiet.
Schließlich hatten sie eine Hofeinfahrt eines alten Fachwerkhauses erreicht. Die Hütte musste früher
mal richtig malerisch gewesen sein, hatte aber offenbar schon bessere Tage gesehen.

Vor dem Haus standen mehrere Autos mit verschiedenen Nummernschildern, die Linus
nicht alle erkannte. Offenbar waren verschiedene Verwandte vor Ort.

Die machen sich vermutlich gerade über die Habseligkeiten des Verstorbenen her, dachte Linus. Schon
schade, was die Aussicht auf ein Erbe aus Verwandten machen kann.

Ein langer, schlaksiger Typ steuerte auf seinen Kumpel Ralf zu, kaum, dass sie beide
ausgestiegen waren. »Hallo Herr Weber, da sind sie ja.
Wie ich sehe, haben Sie ihren Bekannten mitgebracht. Kommen Sie mit in die Garage!«

Er deutete auf den kleinen Anbau neben dem Haus.

Die Garage war voller Gerümpel. Diverse Gartenbaugeräte sowie
eine alte Mischmaschine stapelten sich, umgeben von Brettern und mehreren Holzleitern.
In einer Ecke war etwas unter einer fleckigen alten Decke verborgen.

Der Mann zog die Decke herunter, und zum Vorschein kam ein Motorrad. Wirklich nicht in gutem
Zustand, aber Linus erkannte das Model sofort. Tatsächlich eine Maschine aus der Glanzzeit
der Japanischen BigBikes.

»Hier ist das Ding«, sagte der Mann ziemlich gelangweilt.
»Machen Sie mir ein Angebot!«

»Was können Sie mir zu dem Bike sagen?«, wollte Linus wissen. Eine Katze im Sack
wollte er ja nun wirklich nicht kaufen.

»Eigentlich gar nichts«, antwortete der Schlaksige und schaute nach
draußen.
»Das Motorrad war der Schatz meines Vaters. Soweit ich mich erinnern kann, hat er
das Ding schon ziemlich lange.«

Der Mann kratzte sich geistesabwesend am Kinn.

»Ich habe schon seit sehr langer Zeit keinen Kontakt mehr zu meinen Vater, daher
habe ich wirklich keinerlei emotionale Bindung an diesen Haufen Chrom und Blech. Machen Sie
mir ein Angebot oder lassen Sie es. Ich habe noch einiges zu tun …«

»Äh, OK, ich würde gerne kurz mit Ralf …«

»Geben Sie mir 5 Riesen und nehmen Sie das Scheissding mit! Ich will es hier nicht mehr sehen.«

Mann, der Typ wird ja richtig ungehalten, dachte Linus. Er fühlte sich zunehmend unwohler.

In diesem Moment spürte er einen Tritt von seinem Kumpel Ralf in den Kniekehlen.
Die Botschaft war klar.

Linus seufzte. »Ist gut«, sagte er dann. »Ich nehme die Maschine.«

(Nächstes Kapitel)


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